LTK-Präsident Christoph Matthes auf einer Reise zwischen Wunden, Hoffnung und Verantwortung

Der Landesverband Thüringer Karnevalvereine steht für gelebte Kultur, für Humor, für Gemeinschaft – und damit auch für Verantwortung. In dieser Rolle war LTK-Präsident Christoph Matthes Teil einer Delegation, die Anfang November nach Israel reiste. Offiziell als Vertreter der Thüringer Kultur. Inoffiziell als jemand, der bereit war, sich zumuten zu lassen, was dieses Land gerade erlebt.

Schon im Flugzeug wurde klar, dass diese Reise kein Routinebesuch werden würde. Der israelische Botschafter trat in die Kabine, sprach nicht von Protokoll, sondern von Generationen: Die Delegation sei eine, die nicht mehr aus Schuld, sondern aus freier Entscheidung heraus nach Israel komme. Die Frage sei, ob es nach dieser Reise mehr oder weniger Fragen geben werde. In Jerusalem, beim Empfang im Außenministerium, bei der Musik von ESC-Siegerin Yuval Raphael und ihrer Erzählung vom Nova-Festival, wurde spürbar, wie präsent der 7. Oktober in jedem Gespräch, in jeder Stimme, in jedem Blick ist – und wie sehr Israel gleichzeitig darum ringt, Zukunft zu bauen.
Die ausführliche Schilderung von Ankunft und erstem Abend hat der Präsident in seinem persönlichen Blog festgehalten:
👉 https://christophmatthes86.wixsite.com/zwischendenzeilen/post/ankunft-in-einem-land-das-sich-sofort-unter-die-haut-schreibt

Der zweite Tag gehörte Jerusalem – einer Stadt, die nicht versucht, sich lieblich zu geben, sondern wahr. Im Tower of David wurden Jahrhunderte von Eroberungen, Zerstörungen und Neubeginnen sichtbar; im Shalva National Center zeigte sich, was gelebte Inklusion bedeutet, wenn sie nicht als Konzept, sondern als Alltag verstanden wird. Mittags lag die Altstadt wie ein friedliches Bild zu Füßen, während gleichzeitig deutlich wurde, wie eng Judentum, Christentum und Islam theologisch verwandt sind – und wie tief die Brüche zwischen ihnen dennoch reichen. Am Nachmittag verdichtete sich alles in Yad Vashem zu einem Gang durch einen Tunnel aus Enge, Bildern und Sprache, der mit einer einfachen, schweren Frage endet: Was tun wir heute, damit „Nie wieder“ kein Ritual bleibt? In einer nächtlichen, sehr persönlichen Pilgerbewegung durch Gethsemane, hinauf zum Ölberg und durch die Via Dolorosa bekam dieser Tag für den LTK-Präsidenten eine spirituelle Dimension, die weit über Politik hinausreicht.
Mehr zu diesem Tag in Jerusalem:
👉 https://christophmatthes86.wixsite.com/zwischendenzeilen/post/ein-tag-der-jerusalem-in-die-seele-schreibt

Am dritten Tag verschoben sich die Bilder von der spirituellen Stadt zur politischen Bühne. In der Residenz von Staatspräsident Isaac Herzog ging es um „Nie wieder“ als Auftrag, um Israel als demokratisches Bollwerk in einer Region, in der Terror, Iran und Instabilität keine abstrakten Begriffe sind. In der Nationalbibliothek sprach die Schriftstellerin Zeruya Shalev darüber, wie man aus Verletzungen Literatur macht, ohne die Wunde zu beschönigen. Im Israel Museum traf archäologische Tiefe auf moderne Kunst – Geschichte und Gegenwart lagen buchstäblich im selben Gebäude. Am Abend aber gab es keinen Abstand mehr: Die Delegation sah den Film „We Will Dance Again“ über das Nova-Festival, danach sprachen drei Überlebende über Flucht, Verlust, Überleben und die Frage, wie man weiterlebt, wenn man unter Leichen gelegen hat. Ihre Botschaft an die Gäste aus Deutschland war klar: Es hilft, wenn ihr kommt – und noch mehr, wenn ihr nach Hause geht und weitererzählt, was ihr gehört habt.
Die Dichte dieses Tages ist hier nachzulesen:
👉 https://christophmatthes86.wixsite.com/zwischendenzeilen/post/zwischen-dem-haus-des-präsidenten-bibliothek-der-welt-und-der-tanz-in-den-tod

Der vierte Tag führte dorthin, wo Karten zu Gesichtern werden: in den Süden Israels. In Nahal Oz zeigte eine Mutter mit einem Satz, was Bedrohung bedeutet: „Wir hatten zwölf Sekunden.“ Zwölf Sekunden, um zu entscheiden, wer in den Schutzraum passt, wer getragen wird, was man zurücklässt. Entlang der sogenannten Todesstraße – einer unscheinbaren Landstraße, auf der Menschen im Stau zur Zielscheibe wurden – stand die Delegation später im Nova-Memorial zwischen den Fotos der Getöteten, alle auf Augenhöhe, alle jung, viele so alt wie die eigenen Kinder oder Vereinsmitglieder daheim. In Sderot wurden Schutzräume zu Spielplätzen und Kindergärten mit Bunkern zur Normalität, 75 Prozent traumatisierte Kinder zur Zahl, die keine Statistik, sondern Alltag ist. Ein Gespräch mit einem Experten über Hamas, Gaza, Iran und die Rolle Israels als „Drecksarbeit der Welt“ machte deutlich, dass dieser Konflikt längst globale Linien berührt. Und doch lebte Tel Aviv am Abend weiter – nicht, weil es vergisst, sondern weil Lebensfreude hier Widerstand gegen Angst ist.
Der ganze Tag ist hier beschrieben:
👉 https://christophmatthes86.wixsite.com/zwischendenzeilen/post/zwischen-asche-hoffnung-und-der-erkenntnis-dass-leben-immer-weitergeht

Am fünften Tag trat ein anderes Israel in den Vordergrund – eines, das nicht über Leid, sondern über Stärke spricht. Im World Jewish Sports Museum wurde sichtbar, wie viel jüdische Kraft und sportliche Exzellenz es schon gab, lange bevor die Welt bereit war, diese Geschichten zu erzählen. Die Begegnung mit der paralympischen Athletin Moran Samuel zeigte, was es heißt, aus einem Bruch ein neues Leben zu bauen, ohne den Schmerz zu leugnen. „Ich habe nicht mein Leben verloren, ich habe ein neues bekommen“, sagte sie – ein Satz, der sich tief einprägte. Der Schriftsteller und Diplomat Yossi Avni-Levy sprach darüber, wie Schreiben Erinnerung und Verantwortung zugleich sein kann, während die Bauhaus-Architektur Tel Avivs daran erinnerte, dass deutsche Handschrift in dieser Stadt nur deshalb überlebt, weil ihre Architekten fliehen mussten. Eine Piano-Nacht mit Stücken aus deutscher, israelischer und nahöstlicher Tradition verband am Ende Klangwelten, die politisch oft gegeneinander erzählt werden.
Mehr zu diesem Tag der Stärke:
👉 https://christophmatthes86.wixsite.com/zwischendenzeilen/post/zwischen-stärke-erinnerung-und-der-frage-wer-wir-sein-wollen

Der letzte Tag schließlich war formal unspektakulär – Frühstück, Abschlussrunde, Flughafen – emotional, aber ein Schlusspunkt, der keiner sein wollte. In der Final Summary wurde nicht nur Bilanz gezogen, sondern Dank ausgesprochen: dafür, dass die Delegation nicht nur Orte, sondern Menschen gesehen hatte – Polizistinnen, Künstler, Überlebende, Diplomaten, Mütter, Soldaten, Kinder, Lehrkräfte, Aktivisten. Die Organisatoren betonten, dass es bewusst keine „geschützten Räume“ gegeben habe, sondern echte Begegnungen. Ein Netzwerk sei entstanden, das 2026 in Berlin fortgesetzt werden solle. Am Flughafen Ben Gurion wurde deutlich, dass man zwar in ein anderes Land zurückfliegt, die Verantwortung aber bleibt – und gleichzeitig mitreist. Israel erschien im Rückblick wie ein Mosaik aus offener Wunde, alter Geschichte und einer Zukunft, die sich weigert, klein zu denken. „Nie wieder“ war nach diesen Tagen kein Zitat mehr, sondern ein Tagesprogramm – ein Maßstab für Sprache, Haltung und Handeln, auch in Deutschland, auch im Karneval.
Der ausführliche Abschlussbericht:
👉 https://christophmatthes86.wixsite.com/zwischendenzeilen/post/ein-abschied-der-keiner-sein-will

Für den Landesverband bleibt nach dieser Reise mehr als ein Protokoll. Sie hat gezeigt, dass Kultur – und damit auch der Karneval – nicht im luftleeren Raum stattfindet. Wo Menschen entmenschlicht werden, wo Hass verharmlost, wo Geschichte relativiert wird, ist es auch Aufgabe der Narren, klar zu bleiben: in der Sprache, im Humor, in der Haltung.

Die sechs Tage in Israel haben den LTK-Präsidenten als Vertreter der Thüringer Kultur verändert. Und sie sind zugleich eine Einladung an alle, die im Karneval Verantwortung tragen: wachsam zu sein, dankbar zu sein – und mutig genug, es besser zu machen.

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